Spielen, Singen, Tanzen zum Beispiel: Das sind die Schlüssel zu einer gesunden und fröhlichen Kindheit. Diese Ansicht vertritt Dr. med. Eckhard Schiffer. Der Facharzt für Nervenheilkunde, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie hat etwa 50 Gästen im Haus Sonnenwinkel unterhaltsam und verständlich erklärt, wie Gesundheit, Lebens- und Lernfreude zusammenhängen.

Die Basis dafür bilde das kindliche Urvertrauen. Dieses werde durch frühe Lächelspiele geprägt. In den ersten sechs Monaten gebe es bis zu 30000 solcher Lächelbegegnungen. Mit jeder einzelnen wachse das Wissen im Kind, dass es für die anderen ein Geschenk ist. „Über die in einem ,Gedächtnis der Liebe‘ hinterlegten Gedächtnisspuren des Urvertrauens kann sich später in ähnlichen dialogisch-schöpferischen Begegnungen das Kohärenzgefühl entwickeln“, sagt Schiffer. Urvertrauen und Kohärenzgefühl seien grundlegend für die seelische, soziale und körperliche Gesundheit. Denn der größte seelische Schmerz sei die Angst, nicht gesehen zu werden.

„Viele von unseren Gefühlen, inneren Einstellungen und äußeren Verhaltensmustern in der Begegnung mit Kindern werden von unserer eigenen kindlichen Erfahrungsgeschichte im Spielen bestimmt. In welchen Situationen wir Geduld, Fantasie, Humor oder Strenge zeigen ist nicht nur vom Verhalten des Kindes, sondern auch von der Geschichte unserer eigenen frühen Entfaltungsweisen abhängig“, betont der Arzt.

Mit Sorge stellt er fest, dass den Kindern heutzutage die von innen kommende Lebensfreude immer mehr verloren zu gehen scheint: „Allergien, Süchte oder Verhaltensstörungen werden häufiger diagnostiziert.“ Es gehe permanent um Spaß und Action. „Dabei ist Langeweile der Dünger der Fantasie“, so Schiffer. „Kinder können gute, eigene Ideen entwickeln.“

Ebenfalls verwies er darauf, dass zunehmend mehr Mädchen und Jungen sprachgestört sind. „Das kann unter Umständen daran liegen, weil viele Eltern nahezu immer angespannt sind und weniger mit ihren Kindern sprechen“, meint der Experte. Er rät Müttern und Vätern dazu sich die Zeit zu nehmen, den Kindern eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. „Ein Hörbuch darf es zur Abwechslung auch mal sein. Aber das Vorlesen sollte nicht dadurch ersetzt werden. Lesen ist zugleich ein gutes Training für Ihr Gehirn“, sagt Schiffer. Wer ein gutes Gedächtnis haben möchte, solle sein Leben lang von Angesicht zu Angesicht mit allen Sinnen spielen – gerne im Freien: „Spielen hat einen unglaublich positiven Einfluss, zum Beispiel auf die Konzentration.“

Eine Garantie für ein funktionierendes Gedächtnis im Alter ist das natürlich nicht. Das liege auch an der Angst, nicht gesehen zu werden. „Unser Wohlbefinden bröckelt dann, weil Freunde und Verwandte sterben, weil Hilfe im Alltag notwendig wird oder weil die Familie kaum noch Zeit für Besuche hat. Die Angst, nun nicht mehr gesehen zu werden, lässt den Cortisolspiegel steigen, sie knabbert das Gedächtnis an“, erklärt Schiffer. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass Menschen, die oft besucht werden, geistig fitter bleiben als einsame Menschen: „Sie können Ihr Gedächtnis durch Begegnungen mit anderen Menschen fördern. Singen im Chor ist eine wunderbare Gelegenheit, weil beim Singen Oxytocin ausgeschüttet wird. Dieser Botenstoff ist Gegenspieler des Cortisols und fördert allgemein Vertrauen sowie eine freudig-gute Stimmung.“

Beim gemeinsamen Singen und Tanzen – ob nun im Duett Erwachsener und Kind oder zweier gleichaltriger Menschen – werden außer Oxytocin auch Dopamin, körpereigene Endorphine und Nervenwachstumsfaktoren ausgeschüttet. Letztere seien für die Hirnentwicklung und für die Lernfähigkeit entscheidend. Allerdings gelte dies nur für eine spielerisch-schöpferische Entfaltung ohne äußeren Zwang. Zwang und Bewertungen haben in den Freiräumen kindlichen Spielens nichts zu suchen. Äußerer Zwang beeinträchtige die spontane Spielmotivation des Kindes, Leistungserwartungen und Zensuren setzen Kinder unter Druck. „Sie stellen dann zu früh schon höchste Ansprüche an sich selbst, sind misslaunig und mit sich selbst unzufrieden“, warnt Schiffer. In der Wertschätzung schöpferischer kindlicher Entfaltungsweisen gelte es mehr das Tun selbst als das Objekt, zum Beispiel ein Bild, anzusprechen. „Sagen Sie Ihrem Kind, dass es schön ist, dass es gerne malt. Dass man Lust bekommt, auch ein Bild zu malen“, so sein Rat.