„Das heute ist auch wieder Therapie für mich. Weil ich wiederhole, wie ekelhaft ich war und wie scheiße ich mich damals verhalten habe. Ich habe meine Aufgabe hierin gefunden“, sagt Ex-Junkie $ick. Seine Mission: Drogenprävention. Wie er das macht? Indem er schonungslos aus seiner Vergangenheit erzählt. Die Youtube-Serie „Shore, Stein, Papier“ hat ihn bundesweit bekannt gemacht, hunderttausende haben jede einzelne Folge gesehen. Befragt von Redakteur Paul Lücke erzählt er in 380 Episoden, was er durchgemacht hat. 2015 hat die Serie den Publikumspreis des Grimme Online Award gewonnen. Einige dieser Erlebnisse schilderte er jetzt auf Einladung der Bohmter Jugendpflege im Kotten an der Schulstraße.

$ick erzählte zum Beispiel von seiner Flucht aus einem Gefängnis. „Dort gab es Gänse, die beste Alarmanlage überhaupt. Sie schnattern los, sobald sich etwas bewegt. Wir sind also 45 Minuten lang den Wärtern gefolgt. Wir mussten nah an ihnen dran bleiben, sonst hätten sie sich ja über das Geschnatter gewundert.“ Mit einem selbst gebauten Anker habe es die Gruppe über die Mauer geschafft.

Wieder in Freiheit habe er zum ersten Mal Ecstasy genommen. „Da bist du voll drauf, ich habe es nicht einmal mehr hinbekommen, einen Joint zu drehen. Da bin ich dann doch lieber beim Heroin geblieben“, sagte der Ex-Junkie. Wie hat er seine Sucht denn überhaupt finanziert? „Juwelierraub. Das hat leider so gut geklappt, dass mein Konsum auch gewaltig anstieg. Teilweise hatte ich Schmuck mit einem Verkaufswert in Höhe von 1,6 Millionen Mark auf dem Tisch liegen.“ 1500 Mark habe er am Tag für Kokain und „ein bisschen“ Heroin ausgegeben. „Koks hat eine unglaubliche Macht über dich. Du wirst gierig“, berichtete er aus eigener Erfahrung.

Auf dem Höhepunkt seiner Sucht ist $ick erneut verhaftet worden. „Ich habe mich bei den Polizisten bedankt. Ich wusste in dem Moment, dass sie mir mit der Festnahme das Leben gerettet haben“, blickt er zurück.

Haft, Therapie, Haft… Es sei immer der gleiche Rhythmus gewesen. „Am gleichen Tag, an dem die Therapien endeten, bin ich wieder rückfällig geworden. Immer.“ Er kam schließlich nach Osnabrück, wo sein Vater ihn aufsuchte. „Er wusste, dass ich süchtig bin und dass ich mich mit Drogen auskenne. Seine Quelle war versiegt. Also fragte er mich, ob ich nicht bei den Großen mitspielen wolle“, erzählte $ick. Gemeinsam machten sie Geschäfte und verkauften Cannabis.

Kurz vor dem Ende seiner letzten Entgiftung, im Sommer 2012, bekam er einen Anruf von seiner Mutter. Sie fragte ihn, was er nun vorhabe. „Mir ist dann rausgerutscht, dass ich ins Taxi steige, mir Stoff besorge und wieder rückfällig werde. So wie immer.“ Statt eines Taxis stand seine Mutter bei der Entlassung vor der Tür und fuhr mit ihm nach Bayern. Da habe er lange über sein Leben nachgedacht. „Stoff hätte es in dem Kaff wahrscheinlich eh nicht gegeben“, schmunzelte er.

In Bayern erreichte ihn auch Paul Lückes Anfrage, ob er seine Geschichte nicht vor der Kamera erzählen wolle. Lücke ist Redakteur der Serie „Shore, Stein, Papier“ und Vorsitzender des Vereins Stigma. Der Verein möchte den Mythen, die zur Ausgrenzung von zum Beispiel Drogenabhängigen oder psychisch Kranken führen, einen gesellschaftlichen Aufklärungsprozess entgegenstellen. „Paul hat mir das Gefühl gegeben, dass ich alles erzählen darf. Er hat die richtigen Fragen gestellt. Wenn du so viel Scheiße gebaut hast, redest du irgendwann eigentlich nur noch mit Menschen in der gleichen Situation.“ Es habe ihm geholfen das laut auszusprechen, was ihn aufgewühlt hat.

Letztlich war es aber vor allem die Geburt seiner Tochter, die ihn zum Umdenken bewogen hat. „Mein Therapeut hatte recht: Junkies sind beschissene Väter! Ich konnte ihr nicht anständig in die Augen schauen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und konnte ihr nichts beibringen. Aber jetzt weiß ich: Ich kann ihr nur ein besseres Leben ermöglichen, wenn ich es ihr vorlebe.“

Die Youtube-Serie ist abgeschlossen, seine Geschichte hat er in einem Buch niedergeschrieben. „Nüchtern“, wie er betont. Aktuell arbeite er daran, das Buch als Hip-Hop-Album zu verpacken. „All dies hält mich clean, und ich bekomme gute Rückmeldungen. Heute weiß ich, dass man sich wirklich gut fühlt, wenn man etwas geleistet hat.“

Zu den Gästen, darunter viele mit Drogenerfahrung, sagte er abschließend: „Achtet auf eure Emotionen. Du kannst sie verdrängen, aber sie sind nie weg und holen dich ein.“ Jugendpflegerin Jana Nega zog ein positives Fazit: „Ich freue mich, dass das Interesse an der Veranstaltung so groß war, die Gäste am Ende viele Fragen gestellt haben und sich auch getraut haben, offen über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen.“