„Kita digital – Digitalisierung und frühkindliche Bildung“ – Interdisziplinärer Fachkräfteaustausch mit Partnern aus Italien, Spanien und Deutschland – Kofinanziert durch das Programm Erasmus+ der Europäischen Union

Fachveranstaltung „Digitalisierung in der frühkindlichen Bildung und in der Schule aus Sicht der Hirnforschung“ mit Prof. Dr. Martin Korte, Technische Universität Braunschweig

„Aus Sicht der Hirnforschung ist es für das kindliche Gehirn kein Problem, die Nutzung digitaler Medien zu erlernen und damit umzugehen. Die Gefahr besteht jedoch darin, dass Kinder bei zu häufigem Gebrauch, von für sie und ihre Entwicklung wichtigen und notwendigen Aktivitäten abgehalten werden.“ Diese Ansicht vertritt Prof. Dr. Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig.

Im Rahmen einer digitalen Fachveranstaltung, die ursprünglich in Präsenz geplant war, sprach der Hirnforscher eindrücklich zum Thema „Digitalisierung in der frühkindlichen Bildung und in der Schule“. Auf Einladung des Kinderhauses Wittlager Land e.V., Träger eines EU-Projektes zur Thematik, referierte er vor 42 Fachkräften aus Deutschland, Italien und Spanien.

Das Gehirn des Menschen sei hoch selektiv und speichert Informationen nur, wenn sie für den Menschen Bedeutung haben und seine Gefühle berühren. Bei zu vielen Informationen in zu kurzer Zeit werde das Gedächtnissystem überfordert. Die Konzentration lasse nach, und die Fehleranfälligkeit steigt. „Zu häufiger Wechsel zwischen Tätigkeiten oder ständige Unterbrechungen führen im Gehirn zur Verwirrung der Ziele, die verfolgt werden“, so Korte. Der Mensch benötige etwa 15 Minuten, um sich auf eine kognitive Beschäftigung einzustellen: „Wird diese dann konzentriert und fokussiert ausgeführt, kommt es im Gehirn zur Ausschüttung des Botenstoffes Dopamin, das seinerseits die selektive Aufmerksamkeit erhöht und das Arbeitsgedächtnis stärkt. Die Motivation steigt, langfristig einem Ziel zu folgen. Das bedeutet, nicht eine Belohnung treibt uns an, sondern die Aussicht, ein Ziel zu erreichen.“

Das Erlernen einer Handschrift ist in der Grundschule von großer Bedeutung!

Ein wichtiger Aspekt in der Grundschule sei die motorische Entwicklung und das Erlernen einer Handschrift. Tablets zum Erlernen der Schrift wirken sich negativ auf die Feinmotorik aus. Beim Schreiben und Lesen werden gleichzeitig Gehirnareale für Motorik aktiviert. Darüber könne die Bedeutung von Sprache und Worten erfasst werden. Beim Tippen sind für das Gehirn alle Bewegungen gleicher Art und führen bei Kindern zu einem reduzierten Wortschatz.

Bücher sollten deshalb nicht zu Gunsten von Tablets abgeschafft werden. Korte dazu: „Ein normales Buch hat seinen eigenen Wert, weil räumlich verortet werden kann, wo etwas gelesen wurde. Im Gegensatz zu einem Bildschirm, der immer gleich aussieht.“ Bewegungsreize seien Entwicklungsreize, denn das Gehirn brauche Anregung durch Bewegung, neue Nervenzellen zu bilden. Geleichzeitig werde das Gehirn besser durchblutet, denn es ziehe seine gesamte Energie wie Sauerstoff und Zucker aus dem Blut. Eine gute Durchblutung stärke das Arbeitsgedächtnis und die Konzentration. „Durch die zu frühe und zu häufige Nutzung digitaler Endgeräte werden Kinder verführt, sich viele Stunden am Tag sitzend zu beschäftigen. Die motorische Entwicklung bleibt zurück und vielfältige kindliche Aktivitäten fehlen.“  

Kinder brauchen die Gemeinschaft und das Zusammensein mit anderen in einem Raum!

Für das Nachahmungslernen bilden „Spiegelneuronen“ im Kopf das ab, was andere gerade tun, das heißt allein durch Beobachten kann das Gehirn eine Bewegung nachvollziehen. Eine wichtige Form des Lernens zwischen Eltern und Kindern und zwischen den Geschlechtern. Diese Fähigkeit des Gehirns ermöglicht dem Menschen Empathie zu empfinden. Um diese zu erlernen, brauchen Kinder dringend die Interaktion mit Gleichalterigen in einem Raum. Emotionale Kompetenz führe weiterhin dazu, eigene Emotionen zu kontrollieren und Willenskraft zu entwickeln. Prof. Dr. Korte resümiert:Kinder in Kita und Grundschule brauchen viel Zeit für das Zusammensein und die Beschäftigung mit Gleichalterigen, was sich positiv auf das Erlernen von Sprache und Lesen auswirkt und zu schulischem und beruflichem Erfolg führt. Es besteht die Gefahr, dass vielfältige, unterschiedliche Aktivitäten zu kurz kommen und die Spiegelneuronen nicht berührt werden. Wenn Kinder zu früh und zu lange mit digitalen Medien in Berührung kommen, nehmen die Gehirnareale ab, die mit Empathie und Gefühlserkennung zu tun haben.“ Mit Sorge schaut der Hirnforscher auf die Kinder, die vor allem im Jahr 2020 notgedrungen auf digitale Kommunikation angewiesen waren, weil ihnen kein oder nur geringer Kontakt und Interaktion mit Gleichalterigen möglich war: „Es wird eine große Aufgabe, ihnen wieder Freude an Bewegung, frischer Luft und an das Zusammensein mit ihren Peers zu vermitteln. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen Bildungsinstitutionen und Eltern ist unumgänglich.“