Es ist ungewöhnlich laut im Wiehengebirge, unweit der Familienferienstätte Haus Sonnenwinkel. Wörter in verschiedenen Sprachen durchdringen die Stille des Waldes.  „Gut, gut“ hören einzelne Jogger und Spaziergänger auf dem Essenerberg. Es sind 19 Jugendliche aus fünf Nationen, die sich Mut machen, anfeuern und unterstützen – oben in den Baumkronen. Mit den Erlebnispädagogen von Games & Ropes verbringen sie den Mittwochmorgen im Hoch- und Niedrigseilgarten.

Die jungen Männer aus Afghanistan, Indien, Albanien, Eritrea und Guinea haben schon einmal in ihrem Leben den Boden unter den Füßen verloren. Sie alle sind ohne jegliche Begleitung nach Deutschland gekommen, gelten deshalb als unbegleitete minderjährige Ausländer (umA). Vor allem die Gewalt in ihrer jeweiligen Heimat hat sie dazu gebracht, diese gefährliche Reise anzutreten.

Wird ein umA in Deutschland registriert, kommt die Kinder- und Jugendhilfe ins Spiel. Viele leben jetzt in sogenannten Clearingstellen. In diesen Einrichtungen werden sie rund um die Uhr betreut, es wird in einem Zeitraum von drei bis sechs Monaten geklärt, welche Zukunftsperspektiven sie haben.

Die 19 Jugendlichen aus dem Hochseilgarten nehmen an einem Sprachcamp im Haus Sonnenwinkel teil. Sie klettern, tanzen, kreieren – und lernen. „Sie haben gemerkt, dass man Sprache auch gut im Alltag lernen kann. Und nicht nur an der Tafel“, sagt Heidi Reichinnek, die wie ihre Kollegin Denise Peters jeden Tag für die umAs da war.

Schon im Vorfeld hatten sie mit Jugendlichen aus der Clearingstelle Ellerbeck (Schledehausen) des Verbunds Sozialer Dienste (VSD) eine Packliste für die Woche im Sonnenwinkel erarbeitet. Während des Camps wurden immer die relevanten Begriffe für den nächsten Tag eingeübt. Die erste Aktion: Eine Streetdance-Choreografie mit Trainerin Anja Getz (TuS Bad Essen). „Wir haben gute Tänzer dabei“, sagt Reichinnek anerkennend. Am zweiten Tag ging es erstmals in den Hoch- und Niedrigseilgarten. „Großes Lob an das Team von Games & Ropes, sie haben das sehr gut gemacht. Die Aktion hat den Zusammenhalt der Jungs gestärkt, sie sind aus ihrer Komfortzone herausgekommen und wollten deshalb am Mittwoch lieber noch einmal in den Wald anstatt Eisen zu schmieden“, so die Sprach- und Kulturfachkraft. „Sie mussten sich gegenseitig absichern, das hat das Zusammengehörigkeitsgefühl enorm gestärkt.“

Das Formen von Gegenständen stand auch schon am Dienstag auf dem Programm. Aus Ton wurden verschiedene Figuren geformt. Dabei habe sich gezeigt, dass viele der Jugendlichen handwerklich sehr geschickt sind. Aber nicht nur dazu mussten sie ihre Hände einsetzen. Beim Jonglieren am Vortag konnten sie ihr Geschick unter Beweis stellen, die Bälle hatten sie selber aus mit Reis gefüllten Luftballons hergestellt.

Zwischen all den Aktivitäten blieb auch Zeit, um „traditionell“ zu lernen. Grammatik, Leseverständnis, Rechnen und das Arbeiten am PC lauteten die vier Stationen. Jeweils 40 Minuten hatten sie Zeit, um Aufgaben zu erledigen. „Das Feedback hat gezeigt, dass ihnen dieser Programmpunkt zusammen mit dem Klettern am besten gefallen hat“, sagt Heidi Reichinnek.

Dabei war es keineswegs so, dass sie sich nur auf dem Essenerberg aufhielten. Am sechsten Tag ging es in den Zoo nach Osnabrück. Am Vortag hatten sie über die Tiere gesprochen und geklärt, welche davon in der Heimat der Jungs in der freien Natur anzutreffen sind.

Die wichtigsten Begriffe der Woche wurden am letzten Tag noch einmal wiederholt. Ein Junge bekam einen Begriff gezeigt, diesen musste er pantomimisch darstellen. Der Rest der Gruppe musste das deutsche Wort nennen. „Die Jungs haben im Laufe der Woche viele verborgene Talente entdeckt. Wir hoffen, dass wir dieses Sprachcamp im nächsten Jahr wiederholen können. Schön wäre es, wenn man das Konzept erweitern könnte und dann auch deutsche Jugendliche dabei wären“, hofft die Betreuerin.

Die könnten den umAs dann auch gleich über eine typisch deutsche Tugend aufklären: Pünktlichkeit. „In der Hinsicht mussten wir sie auch mal ermahnen“, schmunzelt Heidi Reichinnek. „Mehr haben wir aber nicht zu bemängeln. Es war eine schöne Woche.“

Gefördert wurde das Sprachcamp durch die Niedersächsische Lotto-Sport-Stiftung.